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Fortuna · 15 Mai 2009 by Medusa Cramer

Unentschlossen folge ich eine Weile der Küste, dann wieder zurück zu den blau-waschenen Lettern, die in der Nische einer in die weiße Wegmauer eingelassenen Treppe zur Hotelbar weisen. Die Schiebetür offen, auf der Theke rumliegende Saftpackungen lassen vermuten, dass die Saison erst in ein paar Tagen beginnt. Ich trete aus der Bar und schaue ratlos Richtung Parkanlage – ob ich durch sie weiter vorne wieder auf den Weg runterkomme? Der Pfad macht am Ende des Parks eine Schlaufe, kein Ausgang, also zurück.

Eine Frau kommt mir entgegen, sie blätterte, als ich in die Bar trat, auf einem Mäuerchen neben dem Hotel sitzend in einem kleinen Heft. Sie winkt mich zu sich, ich muss einen Umweg über die Weglein zu ihr nehmen, als ich bei ihr anlange, fragt sie, ob ich wüsste, welche Gottheit die Statue dort drüben verkörpere. Ich erinnere mich, da war eine weiße Figur im Lorbeergebüsch etwas weiter vorne. Schauen wir sie uns an, meine ich und als wir vor der weißgetünchten Statue auf gelbem Sockel stehen, sage ich mehr ratend: Fortuna. Dieses Füllhorn auf der linken Schulter, das seien doch die guten Dinge, die der vom Glück – von Fortuna – Gesegnete jeweils ausgeschüttet bekommt, die kleinen Früchte würden das aus dem Horn herausquillende Glück darstellen.

Sie sagt: Oh. Weil sie habe ein spezielles Problem. Sie finde immer nur alles in Fragmenten vor, zerstückelt. Eben wäre sie im Garten einer Villa gewesen, den Statuen dort fehlten allerlei Körperteile, einer Diana die Hand, welche den Jagdhund halten sollte, dem Hund selber der Kopf, immer treffe sie Dinge an, die nicht komplett seien, unerwartete Leerräume zwischen Teilen von ihnen, nichts mehr da, was sie verbinden, sie ganz machen würde. Ich bemerke, dass auch Fortuna vor uns nicht komplett ist, ein Teil ihres Füllhorns fehlt. Dort, wo das Gute irgendwie in das Horn reinkommt, klafft eine Lücke zwischen Hand und Horn.

Da fällt mir die verlassene Villa im Ort vor diesem ein, sie muss die Figuren dort meinen, in ihrem Garten parkten die Bewohner des Dorfes ihre Kleinwagen, einer schaute misstrauisch, als er mich um das Haus ohne Fenster und Böden schleichen sah. Zwischen den kreuz und quer auf die Wiese geparkten Wagen und abgestorbenem Bambus waren Statuen – eher nur noch Leibe; ihre Arme, Köpfe abgeschlagen. Die Frau vermutet, dass diese wesentlich älter da kaputter seien, vielleicht aus der Römerzeit. Ich meine: Wohl eher aus dem 19. Jahrhundert wie die österreichischen Hotelkästen hier überall an der Küste.

Ich schaue sie mir genauer an: Die Haare kastanienbraun gefärbt, violettes Trikot, Jeans ohne Gurt – eher gepflegt für eine Verrückte, denke ich. Sie spricht von ihrem Sohn, ein Wasserzeichen, Aquarius, fließend. Also eine Esoterikerin. Mir wird die Unterhaltung lästig, ich will weiter, suche nach einer Wendung, um mich verabschieden zu können. Was denn meine Profession sei? Mich im selben Augenblick über mein lächerliches Gepose schämend, lasse ich sie wissen, dass ich Künstler sei. Malerei? Nein, ich mache Kunst mit Klängen. Also Musiker? Nein, Künstler. Und so weiter; die selbstgelegte Erklärungsfalle schnappt zu.

Ob ich an Gott glaube, will sie plötzlich wissen. Etwas überrascht sage ich: Nein. Weil Künstler glauben nichts (die guten zumindest, außer an sich selbst) – ein Satz für Teilnehmer eines Malkurses, für Mäzenen-Gattinnen, du Idiot, sagt die Stimme in mir. Oh dann hätten wir keine gemeinsame Basis für unsere Konversation, entgegnet die Frau. Weil sie glaube vor allem an den Teufel. Einst wäre es ihr gut gegangen, bis jemand eifersüchtig wurde auf das, was sie besessen habe. Sie hält immer noch das kleine Heftchen in der Hand, jetzt bemerke ich die Marienbilder auf der Vor- und Rückseite. Eine sinnlose Begegnung, warum lässt man mich damit nicht in Ruhe, ich will aufbrechen.

Das sei alles um uns herum, fülle die Zwischenräume zwischen den Dingen, auch wenn ich mit diesem oder jenem Vorhaben beschäftigt sei und es nicht sehe. Wie eine Krankheit: Man denkt nicht an sie, meine, man hätte nichts mit ihr zu tun und dann befalle sie einen unversehens. Sie hätte da seit langer Zeit eine Idee, ein Projekt, ihr früherer Beruf sei Ingenieurin gewesen: Ein Hologramm soll es sein, eines mit Musik und Geräuschen der Dinge, die sich ihn ihm befinden. Ob ich wisse, wie man so etwas herstelle? Ich mutmaße dass das ein wohl eher aufwändiges Unterfangen sei; die ganze Maschinerie sehr teuer.

Sie kommt auf meinen Beruf zurück, will wissen, was denn Klangkunst sei, ich rede vom Reiz des Ephemeren, es geht noch ein- zwei Male hin- und her, dann bekommt sie genug von unserer Konversation und entlässt mich, ich steige die Treppe runter zum Wasser und folge erneut dem Weg der Küste entlang (er führt etwas später an einem weiteren, alten Grand Hotel vorbei, mit Aperitif-Bar, Öffnungszeiten 8 bis 23 Uhr, kein Alkoholausschank vor 10 Uhr morgens und völlig verwaist; die Zwischenräume zwischen den Dingen hier sind mit rotem, muffig-altem Samt ausstaffiert). Marcus Maeder

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